
Alain Beyeler
CEO, Finpact AG
Alain Beyeler ist seit 2020 CEO von der Finpact AG. Zuvor war er acht Jahre als Lead Fund Manager für globale marktneutrale Aktienstrategien bei GAM tätig. In vorhergehenden Positionen arbeitete Alain Beyeler als Portfolio Stratege bei der Credit Suisse, als quantitativer Analyst bei der Finreon AG, sowie als Portfolio Konstruktionsspezialist bei UBS AG. Alain Beyeler hält einen Master in Banking and Finance der Universität St.Gallen.
Interview mit Alain Beyeler
Herr Beyeler, Sie waren lange als Hedge-Fund-Manager aktiv. Welche wesentlichen Erkenntnisse haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?
Alain Beyeler: Als Hedge-Fund-Manager habe ich vor allem die Bedeutung einer soliden Anlagesystematik verinnerlicht. Viele sehen Investments sehr vereinfacht, doch der Teufel steckt im Detail. In der Hedge-Fund-Welt ist die einzelne Transaktion oft weniger wichtig, als man glaubt. Man kann durchaus einmal Glück haben und richtigliegen. Viel entscheidender ist die langfristige Erfolgsquote. Wer nach 1000 Trades in mehr als 50 Prozent der Fälle richtiglag, hat bereits Aussergewöhnliches geleistet; 60 Prozent gelten gar als beinahe genial.
Erinnern Sie sich noch an Ihren allerersten Trade?
Alain Beyeler: Ja, sehr genau. Das war im Jahr 1996. Ich hatte in einem Sommerjob 2500 Franken verdient und investierte dieses Geld in Out-of-the-Money-Optionen. Leider verlor ich das gesamte Kapital innerhalb weniger Wochen. Dieser schmerzhafte Verlust war aber letztlich sehr lehrreich. Er hat mich dazu gebracht, mich tiefer mit Finanzmärkten zu befassen. Ich begann, sämtliche Bücher zu lesen, die ich in die Finger bekam: von André Kostolany, über „Magier der Märkte“ bis hin zur klassischen “Security Analysis” von Benjamin Graham. Diese Lektüre hat meine Faszination geweckt und mich für den Rest meiner Karriere geprägt.
1997 haben Sie ein Jahr in den USA verbracht und den Tech-Boom in Redmond hautnah miterlebt. Was hat Sie daran besonders beeindruckt?
Alain Beyeler: Ich lebte bei einer Microsoft-Familie in Redmond nahe Seattle und spürte die Begeisterung für Technologie auf Schritt und Tritt. Software, Computer und das Internet waren Gesprächsthema Nummer eins. Zum ersten Mal verstand ich, welche Transformationskraft Technologie haben kann. Die damaligen Innovationen, von Windows bis zu neuen Webdiensten, revolutionierten ganze Branchen. Für mich war das eine prägende Erfahrung.
Wie haben Sie die Zeit der Finanzkrise erlebt, als Sie bei der UBS am Paradeplatz tätig waren?
Alain Beyeler: Die UBS galt lange als Synonym für Schweizer Erfolg und finanzielle Stärke. Dann kam die Finanzkrise mit einer Wucht, die vieles infrage stellte. Diese Phase hat mir gezeigt, wie wichtig ein durchdachter Portfolioaufbau ist, der auch in extremen Marktphasen nicht kollabiert. Ich habe erlebt, wie Führungskräfte Investment-Teams durch Krisenzeiten leiten und wie rasch sich Wertevorstellungen ändern können, wenn man plötzlich mit existenziellen Herausforderungen konfrontiert ist. Diese Lektionen prägen mich bis heute: Es geht darum, langfristige Widerstandsfähigkeit zu schaffen, ohne dabei die Dynamik des Marktes zu ignorieren.
Später haben Sie als fundamentaler Aktienmanager gearbeitet. Was fasziniert Sie an der tiefgehenden Analyse von Unternehmen?
Alain Beyeler: Ein börsenkotiertes Unternehmen ist kein abstraktes Papier, sondern ein lebendes System mit Menschen, Ideen und komplexen Abläufen. Die Analyse lehrt Demut: Man erkennt schnell, wie wenig man letztlich über die Welt weiss. Kaum hat man eine Branche verstanden, stösst man auf ein Unternehmen, das alles anders macht. Es gibt unzählige Faktoren – von der Unternehmenskultur über globale Lieferketten bis hin zum technologischen Wandel. Diese Vielfalt macht die Arbeit hochspannend, weil man immer wieder neue Perspektiven gewinnt.
Wenn Sie all Ihre Erfahrungen zusammenfassen: Wie relevant ist eine einzelne Transaktion?
Alain Beyeler: In der öffentlichen Wahrnehmung messen wir einzelnen Trades oft zu viel Bedeutung bei. Auch in den Medien liest man Schlagzeilen wie „Der spektakulärste Trade des Jahres“. Doch auf lange Sicht zählt das Gesamtergebnis. Wer nach vielen Dutzend oder Hunderten Transaktionen eine leicht überdurchschnittliche Trefferquote hat und gleichzeitig das Risiko diszipliniert steuert, wird erfolgreich sein. Dieses Zusammenspiel aus Strategie und Risikokontrolle ist wichtiger als jedes einzelne Geschäft.
Was war Ihr bislang erfolgreichstes Investment?
Alain Beyeler: Microsoft. Bereits 2005 fiel mir auf, dass Microsoft enorme Ambitionen in Richtung Cloud hatte. Damals investierte das Unternehmen beträchtliche Summen in den Aufbau der Azure-Cloud, während es gleichzeitig solide Gewinne in seinem etablierten Kerngeschäft erwirtschaftete. Diese Kombination – Stabilität und Innovation – hat sich über Jahre hinweg als Wachstumsmotor erwiesen. Heute gehört Azure zu den profitabelsten Cloud-Services weltweit.
Welche Lektüre empfehlen Sie, um den eigenen Blick auf Leben und Beruf zu erweitern?
Alain Beyeler: “Man’s Search for Meaning” von Viktor E. Frankl. Das Buch zeigt eindrücklich, wie Menschen in Extremsituationen Sinn finden können. Es erinnert uns daran, dass Geld und Erfolg letztlich nur Hilfsmittel sind. Wichtig ist, dass wir in unserem Tun einen Sinn sehen.
Und was würden Sie als TV-Serienempfehlung nennen?
Alain Beyeler: “Landman” mit Billy Bob Thornton. Thornton schafft es immer wieder, Rollen zu verkörpern, in denen existenzielle Fragen und spannende Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Das regt zum Nachdenken an und unterhält zugleich.
Wo sehen Sie aktuell das grösste Potenzial für Renditen?
Alain Beyeler: Prinzipiell liefern globale Aktienmärkte langfristig solide Erträge, weil die Weltwirtschaft insgesamt wächst. Kurz- und mittelfristig kann es natürlich zu Ausschlägen kommen. Spannend finde ich derzeit die Ineffizienzen, die durch die massiven Flows in ETFs entstehen. Wenn grosse Investoren in relativ homogene Indexfonds einsteigen, kann es sein, dass einige Aktien entweder überproportional gekauft oder unter Druck geraten. Wer diese Mechanismen versteht, kann entsprechend darauf reagieren und dadurch potenziell zusätzliche Renditequellen erschliessen.
Wie definieren Sie „Erfolg“ für sich persönlich?
Alain Beyeler: Erfolg bedeutet für mich, etwas zu schaffen, das echten Nutzen stiftet. Sei es ein Produkt, das den Alltag eines Menschen erleichtert, eine Rendite, die es Kunden erlaubt, ihren Lebensabend sorgenfreier zu gestalten, oder eine Dienstleistung, die ein Unternehmen effizienter macht. Wenn am Ende eine messbare Verbesserung für jemanden entsteht, dann ist das für mich echter Erfolg.
Welcher philosophischen Strömung fühlen Sie sich nahe?
Alain Beyeler: Ich sehe mich den Existenzialisten verbunden. Dostojewski und Nietzsche haben mich in meiner Jugend stark geprägt. Es geht darum, den Sinn des eigenen Handelns selbst zu definieren und Verantwortung für die eigenen Entscheidungen zu übernehmen. Das lässt sich auch auf die Finanzwelt übertragen: Wir müssen uns stets fragen, welchen Sinn unser Tun stiftet und wie wir ethisch und nachhaltig agieren können.
Welche Musik inspiriert Sie?
Alain Beyeler: In der klassischen Musik schätze ich Sergei Rachmaninow wegen seiner Mischung aus Melancholie und Kraft. Im Pop-Bereich höre ich gerne David Bowie, der sich immer wieder neu erfunden hat und damit ein Symbol für kreative Weiterentwicklung ist.
Welche Werte sind Ihnen bei Anlageentscheidungen besonders wichtig?
Alain Beyeler: Eine rationale Herangehensweise, Disziplin, Systematik und der Blick nach vorn. Analysen sind wichtig, aber man sollte auch technologische und gesellschaftliche Trends antizipieren können.
Welche kontroverse Perspektive vertreten Sie zur Zukunft der Vermögensverwaltung?
Alain Beyeler: Ich bin überzeugt, dass Mensch und Maschine immer stärker verschmelzen werden. Viele der klassischen Bankberaterrollen, wie wir sie heute kennen, wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Digitale Plattformen sind bereits jetzt so gut, dass sie einen Grossteil der Standardberatung übernehmen können. Der Berater oder die Beraterin kommt nur noch dann ins Spiel, wenn echte Empathie und komplexe Problemlösung gefragt sind. Diese Entwicklung wird unserer Branche ein völlig neues Gesicht geben.
Wie balancieren Sie das Spannungsfeld zwischen Risiko und Innovation in Ihrem Unternehmen?
Alain Beyeler: Wenn man keinerlei Risiko eingehen will, darf man morgens gar nicht erst aufstehen. Innovation braucht Freiräume und den Mut, Fehler zuzulassen. Gleichzeitig muss man genau wissen, wo Risiken bedrohlich werden können – gerade im Finanzbereich, wo das Vertrauen der Kunden und die Stabilität des Systems auf dem Spiel stehen. Wir definieren also klar, welche Bereiche streng konservativ geführt werden und in welchen Bereichen wir Neues ausprobieren können, ohne gleich das Unternehmen zu gefährden. Diese Balance ist eine Kunst, die nur mit einem eingespielten Team klappt: erfahrene Profis, die Krisen miterlebt haben, gepaart mit jungen, innovativen Köpfen, die neue Ideen einbringen.